Datenschutz-Tipp Nr. 13: Wichtige Urteile für das Datenschutzrecht: Das Volkszählungsurteil

Keine andere gerichtliche Entscheidung hat unser Datenschutzrecht so geprägt wie das sog. Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Als Datenschutzrechtler oder als Datenschutzinteressierter sollten Sie zumindest die wesentlichen Inhalte der Entscheidung kennen. Es gibt nicht viele gerichtliche Entscheidungen zum Datenschutzrecht in Deutschland. Zwar ist die Tendenz steigend, die Entscheidungsdichte im Vergleich zu anderen Rechtsbereichen jedoch sehr gering. Damit Sie die wesentlichen Entscheidungen zum Datenschutzrecht in Deutschland kennenlernen können, präsentiere ich in der Tipp-Reihe die Entscheidungen, die Sie gerne kennen sollten.

Da darf das Volkszählungsurteil natürlich nicht fehlen. Das Volkszählungsurteil ist das mit Abstand wichtigste Urteil für den Datenschutz in Deutschland. Es ist das Urteil, das die deutschen Datenschutzgesetze und deren Auslegung geprägt hat. Und wenn Sie es lesen, werden Sie merken, dass es immer noch aktuell ist.

Mit dem Urteil vom 15.12.1983 hat der 1. Senat des BVerfG inhaltlich ein neues Grundrecht geschaffen: das Grundrecht auf Datenschutz? Genau genommen hat das BVerfG gar kein neues Grundrecht geschaffen, es hat lediglich eine Ausprägung des Persönlichkeitsrechts neu definiert. Aus dem Grundrecht der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) hat das BVerfG ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung herausgebildet.

Das Urteil selbst ist sehr lesenswert. Es erklärt in verständlicher Art und Weise, warum aus den Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus der Verfassung abzuleiten ist. Wer sich ein wenig Zeit nehmen kann, dem empfehle ich daher dringend die Lektüre der gesamten Entscheidungsgründe. Wegen der herausragenden Bedeutung dieses Urteils für das deutsche Datenschutzrecht möchte ich wesentliche Inhalte der Begründung nachfolgend auszugsweise zitieren:

In der Begründung führt das BVerfG zunächst aus, dass Wert und Würde der Person im Mittelpunkt der Verfassung stehen:

Im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung stehen Wert und Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt. Ihrem Schutz dient – neben speziellen Freiheitsverbürgungen – das in Art 2 Abs 1 in Verbindung mit Art 1 Abs 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht, das gerade auch im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit Bedeutung gewinnen kann […] Es umfaßt – […] auch die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden […]* 
In der weiteren Argumentation führt das BVerfG dann aus, warum das diese Entscheidungsbefugnis über die Offenbarung von Lebenssachverhalten gerade im Hinblick auf die technologische Fortentwicklung der Datenverarbeitung, konkretisiert werden muss:

Diese Befugnis bedarf unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes. Sie ist vor allem deshalb gefährdet, weil bei Entscheidungsprozessen nicht mehr wie früher auf manuell zusammengetragene Karteien und Akten zurückgegriffen werden muß, vielmehr heute mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person […] technisch gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar sind. Sie können darüber hinaus – vor allem beim Aufbau integrierter Informationssysteme – mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne daß der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann. Damit haben sich in einer bisher unbekannten Weise die Möglichkeiten einer Einsichtnahme und Einflußnahme erweitert, welche auf das Verhalten des Einzelnen schon durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme einzuwirken vermögen.* 
Diese Ausführungen des BVerfG verdeutlichen den Ansatz und die wesentlichen Aspekte, die das Gericht bei der Entwicklung und Begründung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, bewegt haben.

Das Volkszählungsurteil des BVerfG bzw. die in dem Urteil getroffenen Aussagen gelten grundsätzlich bis heute. Im Gegensatz zu vielen anderen Urteilen hat das BVerfG die im Volkszählungsurteile hergeleiteten Grundsätze auch in aktuellen Entscheidungen stets wieder bekräftigt und nicht grundlegend geändert. Einzelne Aspekte wurden durch Folgeentscheidungen näher konkretisiert. Aber der wesentliche Inhalt der in diesem Urteil enthaltenen Ausführungen zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist stets unangetastet geblieben.

Das Urteil im Volltext finden Sie hier:

Bis zum nächsten Tipp…

Letzte Aktualisierung | letzter Aktualisierungscheck: 29.05.2016