Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zur Zulässigkeit von biometrischen Zeiterfassungssystemen
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LArbG Berlin-Brandenburg) hat mit Urteil vom 04.06.2020 die Entscheidung der Vorinstanz zur Unzulässigkeit eines biometrischen Zeiterfassungssystems ohne wirksame Einwilligung der Beschäftigten bestätigt.
Über das Urteil der Vorinstanz (ArbG Berlin, Urteil vom 16.10.2019, Az.: 29 Ca 5451/19) hatte ich hier bereits geschrieben. Die Berufung gegen das Urteil hat das LArbG Berlin-Brandenburg nun zurückgewiesen.
Ein wichtiger Leitsatz
Aus den amtlichen Leitsätzen des Urteils ergibt sich u.a. dieser prägnante Satz:
Ein biometrisches Zeiterfassungssystem ist in aller Regel nicht erforderlich im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. b DSGVO, § 26 Abs. 3 BDSG.
Damit sind dann zunächst alle Fantasien der Unternehmen, die mit biometrischen Zeiterfassungssystemen liebäugeln, so ein System ohne eine Einwilligung der Beschäftigten einzuführen, zunichtegemacht.
„Minutien“ als biometrische Daten
Die Urteilsbegründung enthält außerdem ein paar interessante Details. So geht es z.B. um die strittige Einordnung von sog. „Minutien“ als biometrische Daten. Hierzu führt das Gericht wie folgt aus:
Minutien sind entgegen der von der Beklagten in der Berufungsverhandlung geäußerten Ansicht biometrische Daten. Minutien sind zwar „nur“ Fingerlinienverzweigungen, sodass der dazu gehörige Fingerabdruck nicht „als Ganzes“ verarbeitet wird. Nach Art. 4 Nr. 14 der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sind biometrische Daten aber alle mit speziellen technischen Verfahren gewonnene personenbezogene Daten u.a. zu den physischen und physiologischen Merkmalen einer natürlichen Person, die die eindeutige Identifizierung dieser natürlichen Person ermöglicht oder bestätigt. Das ist bei Minutien der Fall.
Das Gericht geht also auch bei reinen Minutiendaten davon aus, dass diese zu den biometrischen Daten zählen. Im Ergebnis halte ich das für richtig.
Der Begriff der „Erforderlichkeit“ in § 26 BDSG
Der Dreh- und Angelpunkt im Urteil war dann der Begriff der Erforderlichkeit in § 26 BDSG als hier insoweit einschlägige Vorschrift für die Verarbeitung von Beschäftigtendaten.
Vorweg nimmt das Gericht hier aber noch den Hinweis, dass die Regelungen in § 26 BDSG im Hinblick auf die Verarbeitung biometrischer Daten nur die DSGVO konkretisieren oder präzisieren. Abweichungen oder Veränderungen seien nicht zulässig. Daher müsse bei der Verarbeitung von biometrischen Daten im Beschäftigungsverhältnis der gleiche Maßstab gelten wie außerhalb des Beschäftigungskontexts.
Die Erforderlichkeit im deutschen Recht am Beispiel des § 26 BDSG
Das Gericht betrachtet in der Urteilsbegründung zunächst die Gesetzesbegründung des § 26 BDSG an:
In der Gesetzesbegründung zu § 26 BDSG hat der deutsche Gesetzgeber festgehalten, dass im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung die widerstreitenden Grundrechtspositionen zur Herstellung praktischer Konkordanz abzuwägen seien. Dabei seien die Interessen des Arbeitgebers an der Datenverarbeitung und das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten zu einem schonenden Ausgleich zu bringen, der beide Interessen möglichst weitgehend berücksichtige (BT-Drs. 18/11325, S. 97).
Zusätzlich zur Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Erforderlichkeit darf kein Grund zu der Annahme bestehen, dass die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Beschäftigten die Interessen des verantwortlichen Arbeitgebers an der Verarbeitung überwiegen (BT-Drs. 18/11325, S. 98).
Hieraus zieht das Gericht den Schluss, dass die Erforderlichkeit an sich isoliert zu betrachten ist. Die Schutzmaßnahmen für die Betroffenen, also z.B. technische und organisatorische Maßnahmen wie eine Anonymisierung oder Datenminimierung sind hier zunächst noch nicht in die Beurteilung der Erforderlichkeit einzubeziehen – so das Gericht.
Erforderlichkeit nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG)
Unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des BAG (Beschluss vom 25.04.2017, Az.: 1 ABR 46/15) ist ein technisches System nur dann „erforderlich“ wenn ein legitimer Zweck verfolgt wird und zur Erreichung dieses Zwecks kein gleich wirksames und das Persönlichkeitsrecht weniger einschränkende Mittel zur Verfügung steht.
Und dann kam es offenbar zu einem etwas unglücklichen Vorbringen der Beklagten. Denn diese hat sich in der Berufungsbegründung anscheinend ein kleines Eigentor geschossen. Denn in einem Schriftsatz wurde wohl neben dem biometrischen System des Herstellers, das zum Einsatz kommen sollte, auch ein weiteres System desselben Herstellers erwähnt, das nur mit Chipkarten und Transpondern (also ohne biometrische Daten) betrieben werden kann. Ansonsten war dieses Gerät aber in gleicher Weise in der Lage, die Soll-Arbeitszeiten zu hinterlegen etc.
Und damit zerbrach dann ein Teil der Argumentation des Unternehmens. Alle weiteren Argumente wie z.B. die Kostenersparnis, das Unternehmensinteresse an einer konzernübergreifenden einheitlichen Regelung oder auch der drohende Verlust von Chipkarten wurden vom Gericht m.E. richtigerweise nicht als erheblich anerkannt.
Die „Hürde“ der Erforderlichkeit konnte bei „biometrischen Zeiterfassungen“ nicht übersprungen werden
Ich meine, dass das Gericht hier zu Recht die Erforderlichkeit bei den vorgebrachten Argumenten verneint hat.
Das bedeutet allerdings nicht, dass z.B. eine Regelung auf einer Basis möglich sein kann. Was hier allerdings dann auch zu beachten ist, kannst du in meinem alten Beitrag nachlesen.